Eine Choreographie des Zufalls

Die milde Sonne neigte sich dem Horizont zu, als ich meinen ersten Urlaubstag mit einem Spaziergang auf der geschäftigen Strandpromenade begann. Das gleichmäßige Rauschen der Wellen begleitete meine Schritte, während ich zwischen den Restaurants und Souvenirgeschäften schlenderte. Zwischen den touristischen Lokalen fiel mir eine kleine, unscheinbare Taverne auf. Die wackeligen Holztische und die beschriebene Kreidetafel wirkten einladend, eine üppige Bougainvillea rahmte den schmalen Eingang ein.

Ein Gruß vom Haus

»Ein Glas Ihres Hausweins, bitte«, bestellte ich bei dem grauhaarigen Kellner, der mit einem warmen Lächeln nickte. Nur wenige Augenblicke später servierte er den rubinroten Wein und ein schmuckloses Schälchen mit glänzenden Oliven. »Ein Gruß vom Haus«, erwiderte er mit südländischem Akzent.

Zwischen den Oliven steckte ein eingeschweißter Zahnstocher. Ich befreite ihn aus der knisternden Folie und schob diese gedankenverloren unter die Blumenvase auf meinem Tisch, in der drei ziemlich müde aussehende Gerbera steckten. Der Wein schmeckte samtig, die Oliven waren würzig. Ich beobachtete die flanierenden Menschen auf der Promenade und ließ meinen Blick über das schimmernde Meer schweifen.

Der Tanz beginnt

Nach dem Bezahlen räumte der Kellner meinen Tisch ab. Glas, Schälchen und die versteckte Folie landeten auf seinem blank polierten Tablett, das er geschickt auf der Handfläche balancierte. Und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Ein sanfter Windhauch erfasste die leichte Plastikfolie und hob sie vom Tablett. Sie schwebte empor wie ein verirrter Schmetterling, der seinen ersten Flug wagte. In der Luft begann sie zu tanzen – erst zaghaft, dann immer mutiger. Sie drehte sich um ihre eigene Achse, schwebte nach links, nach rechts, als folge sie einer geheimen Choreographie. Ich konnte den Blick nicht abwenden, während der Wind sie höher und tiefer trug, sie mal nach links, mal nach rechts schweben ließ. Dann schoss sie pfeilartig nach oben, dann wieder segelte sie sanft abwärts, nur um im nächsten Moment einen verwegenen Looping zu vollführen.

Abschied

Die hauchdünne Folie glitzerte im Abendlicht, wurde durchsichtig und spiegelte dann wieder die letzten Strahlen des Tages. In einer eleganten Pirouette, fast wie ein Abschiedsgruß, segelte sie über die Promenade. Gebannt schaute ich zu, wie sie über das verwitterte Geländer hinaus aufs Wasser schwebte. Einen Moment lang schien sie dort zu verharren, schwerelos zwischen Himmel und Meer. Dann landete sie sanft auf dem Wasser, wo eine kleine Welle sie empfing und mit sich nahm – in die dunkle Tiefe des Ozeans, so als hätte es sie nie gegeben.

Die ersten Laternen erwachten träge, während die Sonne versank. Das Meer rauschte seinen ewigen Rhythmus, und die Abendluft füllte sich mit dem verlockenden Duft von gegrilltem Fisch. Der Tanz war vorüber.

© Ron Vollandt | Rons famose Gedankenwelt