Meine persönliche Prognose

Gestern Abend beim Zähneputzen kam mir ein Gedanke, der vermutlich jedem Menschen schon mal durch den Kopf geschossen ist: Was wäre, wenn morgen früh außerirdische Raumschiffe über unseren Städten schweben würden? Während ich da vor meinem Zimmerspiegel stand und mich als einen Homo sapiens sah, dem die Zahnpasta aus dem Mundwinkel quoll, dachte ich: »Außerirdische sehen bestimmt nicht ganz so schrecklich aus.« Aber dann wurde mir klar – eigentlich wäre das die geringste aller Sorgen.

So ein Gedanke kommt ja nicht von ungefähr. SETI (Wikipedia Link) lauscht seit Jahrzehnten ins All, als würde dort irgendein kosmischer Radiosender die Top 40 der Galaxis spielen. Hollywood produziert einen Alien-Film nach dem anderen, mal freundlich (»E.T.«), mal weniger freundlich (»Independence Day«). Und die halbe Bevölkerung ist überzeugt, dass sie schon längst da sind und nur darauf warten, sich zu offenbaren.

»Was würde es letztendlich bedeuten, wenn Außerirdische mal vorbeischneien würden?«, sinniere ich seit einigen Monaten ernsthaft. Ich muss zugeben, dass ich da eher pessimistische Gedanken habe, die den Befürwortern aller Außerirdischen-Erstkontakt-Fantasien sicher nicht gefallen werden. Deshalb möchte ich meine Meinung hier mal teilen, die meiner Ansicht nach durchaus realistisch ist und viel zu wenig Beachtung findet:

Mikroben mit Fernweh

Die kleinsten Eroberer

Primitive außerirdische Mikroorganismen halten viele für das harmloseste Szenario. Ich meine damit wirklich die winzig kleinen Lebewesen, die uns ständig umgeben. Denken wir nur mal an eine typische Szene im Fahrstuhl: Da niest einer herzhaft und hebt die Armbeuge zu spät vor das Gesicht. Was da in der Luft schwebt, ist gewaltig – und die Tür bleibt zu.

Ein Blick in die Geschichte

Das Problem: Wir haben bereits Erfahrung mit fremden Mikroben gemacht, auch wenn sie vom selben Planeten stammten. Als die Europäer Amerika »besuchten«, brachten sie unbeabsichtigt winzige Passagiere mit – Bakterien und Viren. Das Ergebnis: 90 Prozent der indigenen Bevölkerung starben. Nicht durch Schwerter oder Kanonen, sondern durch Schnupfen, Masern und andere »Kleinigkeiten«.

Andere Regeln

Und das waren Erreger vom selben Planeten! Stellen wir uns vor, was mikroskopische Besucher aus einem völlig anderen Sternsystem anrichten könnten. Deren Evolution verlief Millionen Jahre anders. Ihre Biochemie folgt möglicherweise Regeln, die unser Immunsystem nicht einmal erkennt.

Während unsere weißen Blutkörperchen noch rätseln: »Was ist das denn für ein komisches Ding?«, haben die außerirdischen Mikroben bereits gemütlich die Füße hochgelegt und überlegen sich, welches Organ sie als nächstes umdekorieren. Das Gehirn vielleicht? Oder doch lieber die Leber? Entscheidungen, Entscheidungen.

Harmlose Absichten

Das Perfide: Diese Mikroben müssten nicht mal böse sein. Vielleicht sind sie in ihrer Heimatwelt völlig harmlos, aber in Kombination mit irdischen Bakterien entwickeln sie plötzlich eine Vorliebe für menschliche DNA. Wie ein Chemieexperiment, bei dem niemand die Anleitung gelesen hat.

Ein kosmisches Trojanisches Pferd, nur dass diesmal alle Beteiligten überrascht wären. Doch das ist noch nicht das gruseligste Szenario!

Begegnungen der dritten Art

Wenn Nachbarn zu Besuch kommen

Ein zweites Szenario wäre der Kontakt mit Außerirdischen auf unserem Intelligenzniveau. Endlich! Wesen, mit denen man sich auf Augenhöhe unterhalten kann. Über Philosophie, Kunst, die besten Rezepte für interstellare Küche. Selbstverständlich! 😉

Genau das ist die Fantasie, die in jedem zweiten Science-Fiction-Film verkauft wird. Der große Traum: Außerirdische landen, teilen ihr Wissen mit uns und plötzlich leben wir alle in einer harmonischen Galaxie-Gemeinschaft.

Keine gute Nachbarschaft

Blöd nur, dass Menschen noch nie besonders gut mit »gleichberechtigten« Nachbarn klargekommen sind. Man denke an die Neandertaler. Die lebten friedlich vor sich hin, bis der Homo sapiens auftauchte. Kurze Zeit später: verschwunden. Was für ein Zufall.

Und das waren quasi entfernte Cousins! Gleiches Aussehen, ähnliche Bedürfnisse, vom selben Planeten. Trotzdem hat es nicht gereicht. Jetzt sollen Menschen mit Wesen friedlich koexistieren, die möglicherweise acht Arme haben und durch Farbwechsel kommunizieren?

Meine bedauerliche Feststellung

Menschen schaffen es ja nicht mal, mit anderen Menschen friedlich zusammenzuleben, nur weil diese eine andere Hautfarbe oder Gottesvorstellung haben. Aber klar, mit grünhäutigen Tentakelwesen wird das bestimmt klappen.

Nehmen wir aber an, die Aliens wären tatsächlich freundlicher. Sie kommen mit Geschenken. »Hier, diese Kugel löst alle eure Energieprobleme!« Wunderbar! Bis nach zehn Jahren auffällt, dass die Kugel gleichzeitig alle Gehirne langsam umprogrammiert. Einziger Wermutstropfen: Bis dahin haben wir wenigstens den Strom ganz preiswert bekommen.

Schwarzmalen vs. Realität

Meine Gedanken sind ziemlich pessimistisch. Nicht aus Lust am Schwarzmalen, sondern weil die Realität oft komplizierter ist, als wir uns das wünschen. Vielleicht bin ich ein notorischer Zweifler, aber manchmal scheint Vorsicht einfach klüger als blinde Hoffnung.  Doch da ist noch eine weitere Betrachtung!

Die kosmischen Überflieger

Schmerzhafte Intelligenz

Drittes und wahrscheinlichstes Szenario: Wesen, die uns intellektuell so überlegen sind wie Menschen den Ameisen.

Eine Zivilisation, die zwischen den Sternen reist, muss technologisch Jahrtausende voraus sein. Während Menschen stolz darauf sind, dass sie es schaffen, eine Blechdose mit ein paar Astronauten zur ISS zu schießen, beherrschen diese Wesen vermutlich Technologien, die unsere Physik für unmöglich hält.

So sieht’s wohl aus

Und wie behandeln überlegene Intelligenzen unterlegene? Man schaue sich das eigene Verhalten an. Wenn eine neue Autobahn gebaut wird und dabei ein Ameisenhaufen im Weg steht, wird dann eine Volksabstimmung unter den Ameisen abgehalten? Werden Verhandlungen geführt? Entschädigungen gezahlt?

Natürlich nicht. Der Haufen wird weggebaggert. Erledigt. Nicht aus Bösartigkeit, sondern weil Ameisen irrelevant sind.

Die Tragik

Genau so könnten hochentwickelte Aliens über Menschen denken. »Oh, niedlich, diese Primaten haben Städte gebaut. Aber leider brauchen wir ihren Planeten für unser Solarpanel-Projekt. Da haben sie wohl Pech gehabt.«

Menschen würden wahrscheinlich nicht mal verstehen, was passiert. Ameisen verstehen auch nicht, warum plötzlich gelbe Monster ihren Lebensraum zerstören. Für sie ist es eine unbegreifliche Katastrophe. Für uns nur Straßenbau.

Willkommen im Zoo

Die Sonderausstellung Erde

Vielleicht wären hochentwickelte Aliens aber gnädig. Vielleicht würden sie Menschen interessant genug finden, um sie am Leben zu lassen. Wie Zootiere.

»Besuchen Sie den neuen Terra-Bereich! Bestaunen Sie die seltsamen Bipeden, die den ganzen Tag auf leuchtende Rechtecke starren! Erleben Sie, wie sie sich wegen glänzender Metallscheiben bekämpfen, obwohl ihr Planet voller Rohstoffe ist! Ein Spaß für die ganze außerirdische Familie!«

Oder noch besser: Menschen als Forschungsobjekte. »Experiment 15.847: Was passiert, wenn man ihre sozialen Medien manipuliert? Experiment 15.848: Wie reagieren sie auf künstlich erzeugte Pandemien? Experiment 15.849: Können sie sich selbst ausrotten, ohne es zu merken?«

Der »kleine« Haken

Wenn diese Wesen wirklich so überlegen sind, merken Menschen die Manipulation gar nicht. Vielleicht läuft das Experiment bereits. Vielleicht sind die politischen Katastrophen der letzten Jahre, der Klimawandel oder die Verbreitung von Verschwörungstheorien Teil eines großangelegten Tests.

Irgendwo sitzt dann ein außerirdischer Doktorand vor seinem Computer: »Interessant, bei Stress neigen die Subjekte zu irrationalem Verhalten. Erhöhen wir mal die Dosis.«

Historische Lehrstunden

Besuche, die niemand bestellt hat

Die Geschichte zeigt: Begegnungen zwischen verschiedenen Zivilisationen enden selten gut für die schwächere Seite. Die Azteken hielten Cortés anfangs für einen Gott. Hat ihnen nicht geholfen – ihre Kultur wurde trotzdem ausgelöscht.

Die Aborigines lebten 50.000 Jahre erfolgreich in Australien, bis europäische Siedler kamen. Binnen weniger Jahrzehnte war ihre Lebensweise fast verschwunden. Nicht durch einen bösen Plan, sondern einfach durch »Fortschritt«.

Das bittere Muster

Das Muster ist immer gleich: Die stärkere Zivilisation setzt sich durch. Manchmal mit guten Absichten, manchmal mit dem aufrichtigen Wunsch zu helfen. Das Ergebnis bleibt dasselbe.

Selbst wenn Aliens nur helfen wollten, würde ihre bloße Anwesenheit alles verändern. Religionen würden zusammenbrechen (»Gott hat die Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen.« – »Äh, und was ist mit den achtarmigen Typen da?«). Wirtschaftssysteme würden obsolet. Die komplette Weltanschauung müsste über Nacht neu erfunden werden.

Kein Plan

Ist wohl auch ein Plan!

Nach der globalen Corona Pandemie, die uns mehrere Jahre lang beschäftigte, haben wir offenbar beschlossen, dass Pandemiepläne so überbewertet sind wie Rauchmelder in einem Feuerwerk-Lager. Statt robuste Frühwarnsysteme und klare Handlungsrichtlinien zu entwickeln, vertrauen wir darauf, dass beim nächsten Mal schon alles irgendwie klappen wird – Improvisation war ja schließlich unser heimlicher Erfolgsschlager.

Und sollten tatsächlich Außerirdische vor unserer Tür stehen, können wir uns bereits jetzt darauf freuen, wie Staatsoberhäupter sich um die erste Audienz prügeln werden, während Wissenschaftler verzweifelt versuchen, jemanden davon zu überzeugen, dass vielleicht, nur vielleicht, eine kleine Quarantäne ganz sinnvoll wäre, bevor wir uns mit unseren neuen galaktischen Freunden die Hände schütteln.

Das Fermi-Paradox

Wo sind die alle?

Jetzt wird es richtig düster. Und zwar hat der Physiker Enrico Fermi mal die berühmte Frage gestellt: »Wo ist denn bloß jeder?« Denn: Bei der Größe des Universums müsste es vor Aliens nur so wimmeln. Aber weit und breit: nichts.

Eine Erklärung ist die Dunkler-Wald-Hypothese (Wikipedia Link). Das Universum ist wie ein dunkler Wald voller bewaffneter Jäger. Alle schleichen leise umher, denn wer sich bemerkbar macht, wird abgeknallt. Nicht aus Bosheit, sondern aus Vorsicht.

Prinzip einer Zivilisation

Jede Zivilisation hat zwei Eigenschaften: Sie will überleben und kann die Absichten anderer nicht erkennen. Logische Konsequenz: Eliminiere potenzielle Bedrohungen, bevor sie gefährlich werden.

Unter dieser Prämisse sind unsere ständigen Radiosignale ins All, meiner Meinung nach, ungefähr so klug wie Lagerfeuer anzünden in einem Wald voller Wölfe. »Hallo, hier sind wir! Primitive Technologie, wehrlos, reiche Rohstoffe!«

Vielleicht haben intelligente Zivilisationen gelernt, die Klappe zu halten. Und die, die zu viel Lärm machen, sind schnell Geschichte. Eine ziemlich deprimierende Erklärung für die kosmische Stille.

Biologisches Roulette

Wenn Ökosysteme aufeinanderprallen

Zurück zu den praktischen Problemen. Selbst friedlichste Aliens wären eine biologische Katastrophe. Jeder Körper ist ein Ökosystem aus Milliarden Mikroorganismen, die sich über Jahrmillionen in einem fragilen Gleichgewicht entwickelt haben.

Neue Organismen aus dem All könnten dieses System so durcheinanderbringen, dass unvorhersehbare Kettenreaktionen entstehen. Vielleicht verdrängen sie harmlose Darmbakterien und ruinieren die Verdauung. Oder sie verschmelzen mit irdischen Viren zu neuen, gefährlichen Erregern.

Sind wir zu neugierig?

Biologische Prozesse sind langsam. Bis klar wird, was schiefläuft, ist es zu spät. Die ersten Symptome zeigen sich vielleicht erst Jahre später. Und dann nicht nur bei Menschen, sondern im gesamten irdischen Ökosystem.

Stellen wir uns vor: Außerirdische Sporen setzen sich in Bäumen fest. Zunächst passiert nichts. Dann, nach fünf Jahren, sterben plötzlich alle Wälder. Gleichzeitig mutieren Algen in den Ozeanen und produzieren giftige Gase. Das Klima kollabiert, die Nahrungskette bricht zusammen.

Alles nur, weil jemand zu neugierig war!?

Der Technologie-Schock

Wenn Fortschritt wehtut

Angenommen, biologisch läuft alles glatt. Dann bleibt immer noch der Technologie-Schock. Unsere Gesellschaft basiert auf bestimmten Annahmen: Rohstoffe sind knapp, Energie kostet Geld, Reisen dauert Zeit.

Was passiert, wenn Aliens diese Annahmen über den Haufen werfen? Wenn sie Maschinen zeigen, die jede Materie aus dem Nichts erschaffen? Wenn sie Energiequellen demonstrieren, die alle Probleme lösen? Wenn sie beweisen, dass Reisen zu anderen Sternen so einfach ist wie U-Bahn fahren?

Ende durch Transformation

Das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen. Nicht durch Zerstörung, sondern durch Transformation. Und Transformationen sind chaotisch. Schon das Internet hat die Gesellschaft durcheinandergebracht – und das war unsere eigene Erfindung!

Alien-Technologie würde ein Erdbeben auslösen, gegen das alle bisherigen Umwälzungen wie sanfte Brise wirken.

Die psychologische Katastrophe

Wenn das Ego implodiert

Aber selbst wenn alle praktischen Probleme lösbar wären – da ist noch die psychologische Dimension. Menschen sind nicht dafür gemacht, mit überlegener Intelligenz konfrontiert zu werden. Das gesamte Selbstverständnis basiert darauf, die Krone der Schöpfung zu sein.

Wie würde die Spezies damit umgehen, plötzlich zu erfahren, dass sie nicht die Spitze der Evolution ist, sondern eher Kindergartenniveau? Dass alle großen Errungenschaften – Kunst, Wissenschaft, Philosophie – für überlegene Wesen vielleicht nicht mehr sind als Fingermalerei?

Eine ganz neue Welt

Die psychologischen Auswirkungen wären verheerend. Depressionen, Selbstmorde, religiöse Fanatiker, die den Weltuntergang predigen, politische Bewegungen, die »Alien raus!« brüllen. Und das bei Wesen, die uns problemlos auslöschen könnten.

Menschen haben schon bei viel geringeren Herausforderungen völlig irrational reagiert. Ein Klopapier-Engpass reicht, um Hamsterkäufe auszulösen. Was passiert erst bei kosmischen Minderwertigkeitskomplexen?

Die größte Bedrohung für die Menschheit ist nach wie vor die Menschheit selbst.

Ron Vollandt

Das unvermeidliche Fazit

Optimismus ist überbewertet

Nach reiflicher Überlegung gibt es für mich praktisch kein Szenario, in dem Alien-Kontakt gut ausgeht. Entweder sie sind unterlegen und bringen trotzdem Probleme mit. Oder sie sind ebenbürtig und behandeln uns wie Menschen andere Spezies behandelt haben. Oder sie sind überlegen und betrachten uns als irrelevant.

Das heißt nicht, dass die Suche nach außerirdischem Leben sinnlos ist. Wissenschaftliche Neugier ist wichtig. Aber vielleicht sollte die Menschheit aufhören, so laut ins All zu rufen. Vielleicht sollten weniger Menschen von kosmischen Freundschaften träumen und mehr über irdische Probleme nachdenken.

Die bittere Wahrheit

Denn ehrlich gesagt: Solange sich Menschen noch wegen Hautfarbe, Religion oder Politik die Köpfe einschlagen, sind sie wahrscheinlich nicht reif für Begegnungen mit wirklich fremden Intelligenzen.

Bis dahin bleibt wenigstens die tröstliche Gewissheit, dass die größte Bedrohung für die Menschheit nach wie vor die Menschheit selbst ist. Das ist zwar auch nicht beruhigend, aber wenigstens ein Problem, das theoretisch lösbar ist.

Also, liebe potenzielle außerirdische Leser: Hier unten läuft noch ein Experiment namens »Zivilisation«, und das ist noch nicht abgeschlossen. Kommt einfach in ein paar Jahrhunderten wieder vorbei. Falls dann noch jemand da ist.


Verwendete Quellen:

Anmerkung des Verfassers:

Das Foto zu diesem Beitrag zeigt übrigens kein Raumschiff aus einer fernen Galaxie, sondern den Lotustempel in Neu-Delhi. Seine markanten, grün illuminierten Konturen wirken jedoch so futuristisch, dass sie leicht Assoziationen an außerirdische Architektur wecken.

© Ron Vollandt | Rons famose Gedankenwelt