Warum ich Texte schreibe statt Videos zu drehen

Die große Verwirrung unserer Zeit

In den letzten Jahren scheint sich sehr viel geändert zu haben: Ich habe das Gefühl, dass wir in einer Welt leben, in der jeder zweite Mensch glaubt, die Menschheit warte sehnsüchtig auf seine Gesichtszüge in 4K-Auflösung. Ich hingegen habe mich für den stillen Widerstand entschieden. Gut, Zyniker würden meinen, dass es auch besser so sei, da mich niemand sehen muss, doch die Gründe sind weit tiefgreifender: Während um mich herum Menschen ihre Smartphones auf Selfie-Sticks montieren und mit wichtiger Miene in die Kamera flüstern: »Hey Leute, ich zeige euch heute, wie man Wasser kocht!«, sitze ich hier mit meinen altmodischen Worten und tippe unbeirrt vor mich hin. Es wirkt wie Nostalgie, doch in Worten steckt so viel mehr.

Die Versuchung, ein YouTuber zu werden

Es ist so verführerisch einfach, ein YouTuber zu werden oder auf Instagram ein paar Videos hochzuladen: Es lockt der grenzenlose Appetit nach Aufmerksamkeit. Und auch mir hat der Teufel schon eindringliche Worte ins Ohr gesäuselt: »Du könntest viel mehr Menschen erreichen«, während ich versuchte, einen gesellschaftskritischen Artikel über das invasive Leben des Buchsbaumzünslers zu schreiben. »Stell dir vor: Millionen von Views! Sponsorenverträge für Haargel! Ein eigenes Merchandise-Imperium mit deinem Gesicht auf Kaffeetassen!« Kurz hielt ich inne. Die Vorstellung von spontanen Fantreffen in Einkaufszentren und Menschen, die meinen Namen rufen, wenn ich nur Brötchen kaufen will, schwebte mir vor meinem geistigen Auge. Aber sofort war mir klar, dass es nicht das Ziel ist, was ich verfolge: Unter der makellosen Oberfläche dieser schimmernden Bilderwelt strotzt es oft nur von Belanglosigkeit. Es wirkt auf mich meist so, als wären die Videos schnell mal produziert worden – Stottern und langatmige Ausführungen werden als Authentizität verkauft. Nein, das ist es nicht, was ich will!

Warum ein Text mehr sagt als tausend Videos

Ein guter Text verlangt vom Leser, sich Zeit zu nehmen, innezuhalten, nachzudenken. Er lädt ein zum Verweilen und nicht zum hektischen Weiterscrollen. Er bietet den Luxus der Stille, während Videos uns mit musikalischen Untermalungen und schnellen Schnitten die Illusion von Tiefgang vorgaukeln. Meine Worte flüstern, während ein Video grell ins Gesicht schreit. Meine Sätze lassen Zeit zum Atmen, während ein Video von einer Szene zur nächsten hetzt, als würde die Apokalypse drohen, sollte die Kamera länger als drei Sekunden auf demselben Bildausschnitt verweilen.

Außerdem: Welches Medium außer Text erlaubt es, einen Gedanken mitten im Satz abzubrechen und einen völlig anderen Weg einzuschlagen, ohne dass es wie ein missglückter Schnitt wirkt? Welches Medium außer Text kann gleichzeitig präzise und vieldeutig sein, kann Raum für eigene Interpretationen lassen und trotzdem eine klare Richtung vorgeben?

Das stille Manifest eines Textliebhabers

Ich liebe es, wenn ich mit den Worten und Schreibstilen experimentieren und spielen kann. Mit einem saloppen Schreibstil ist der Lesefluss etwas leichter, aber mit gut und stilvoll gewählten Worten wird es tiefgründiger. Geheime Botschaften sind versteckt, die vielleicht auch nur beim zweiten oder dritten Lesen offenkundig werden.

Manchmal verliere ich mich stundenlang in der Suche nach dem perfekten Wort. Es gibt Tage, an denen ich zwanzig Versionen eines einzigen Satzes schreibe, nur um zur ersten zurückzukehren. Für einen Videomacher wäre das ein Alptraum aus endlosen Aufnahmen – für mich ist es ein Tanz mit den Möglichkeiten der Sprache.

Hier, in diesem kleinen Winkel des Internets, bleibe ich bei meinen Buchstaben. Sie sind meine treuen Gefährten, meine Verbündeten im Kampf gegen die Verflachung. Sie kennen keine Eitelkeit, brauchen kein Ringlicht und keine Werbeunterbrechungen. Sie sind einfach da, geduldig wartend, bis ein Geist sie aufnimmt und mit Leben füllt.

Der Triumph des langsamen Denkens

Vielleicht bin ich ein Dinosaurier, der stur seinen Textkrater bewohnt, während um mich herum die Meteoriten der kurzlebigen Video-Trends einschlagen. Aber ich glaube an die evolutionäre Nische der langsamen Gedanken, der sorgfältig formulierten Sätze, der Ideen, die man mehr als einmal lesen kann.

Während sich meine videofixierten Zeitgenossen mit ewigen Bearbeitungsloops, endlosen Aufnahmewiederholungen und algorithmischen Aufmerksamkeitskriegen abmühen, sitze ich hier mit einem Tee und tippe in Ruhe meine Gedanken. Kein Aufbau von Lichtanlagen, kein Kampf mit der Akustik, keine quälenden Überlegungen, ob mein Hintergrund interessant genug für meine drei Sätze über die Kaffeezubereitung ist.

Ich muss mir keine Gedanken machen, ob meine Augenringe zu sehen sind oder ob das neue Pickelchen an meinem Kinn die Zuschauer ablenken könnte. Das Schönste an Texten: Sie zeigen keine optischen Unreinheiten – höchstens stilistische.

Die unverhoffte Freiheit des Textschreibers

In meiner stillen Rebellion gegen den Zwang zum bewegten Bild habe ich eine unverhoffte Freiheit gefunden. Die Freiheit, meine Gedanken in ihrer natürlichen Geschwindigkeit zu entfalten. Die Freiheit, meinen Lesern zuzutrauen, dass sie noch länger als 15 Sekunden bei einer Idee verweilen können. Die Freiheit, Dinge zu sagen, ohne dabei die richtige Mimik zu treffen.

Letztens fragte mich ein Freund, ob ich nicht Angst hätte, den Anschluss zu verpassen. Schließlich könne man mit Videos viel mehr Menschen erreichen. »Wen genau willst du denn erreichen?«, fragte ich zurück. »Die, die nur noch in Häppchen denken können? Die, die beim Lesen eines Absatzes schon nach der Vorschau für den nächsten suchen?« Er schwieg. Ich auch. Wir verstanden uns ohne weitere Worte – eine Fähigkeit, die Menschen entwickeln, die noch Texte lesen.

Die Renaissance des geschriebenen Wortes

Es mag überraschen, aber ich glaube an eine Renaissance des geschriebenen Wortes. Gerade weil wir überflutet werden mit kurzen Videos und bunten Bildern, werden viele Menschen irgendwann die Ruhe und Tiefe der Texte wieder zu schätzen wissen. Wie nach einer lauten Party die Stille plötzlich golden erscheint.

Vielleicht bin ich nicht der letzte Mohikaner, sondern ein früher Siedler in einem Land, zu dem bald viele zurückkehren werden, erschöpft vom endlosen Scrollen und dem visuellen Lärm. Vielleicht werden wir eines Tages nostalgisch auf die Zeit zurückblicken, in der jeder Moment gefilmt werden musste, um real zu sein.

Ein Wort nach dem anderen

Und so bleibe ich, der scheinbar letzte Mohikaner der Buchstabenkunst, standhaft in meinem Glauben, dass es noch Menschen gibt, die lieber lesen als schauen. Die das Kino im Kopf dem vorgefertigten Bilderstrom vorziehen. Die das Vergnügen genießen, zwischen den Zeilen zu entdecken, was kein Kameraobjektiv einfangen kann.

Die Nacht bricht herein über die unendlichen Weiten des Internets, und ich schreibe weiter – ein Wort nach dem anderen, eine Gedankenreise ohne Ringlicht, ohne »Abonnieren-Button«, ohne »Hey Leute!«-Intro. Einfach nur Buchstaben, die darauf warten, zum Leben erweckt zu werden.

© Ron Vollandt | Rons famose Gedankenwelt