Herz aus Papier

Bitte einmal Hand aufs Herz: Wann hat ein Werbeprospekt das letzte Mal unser Leben verändert? Genau – vermutlich nie. Und dennoch quillen Briefkästen landauf, landab über vor buntem Hochglanzpapier, das niemand bestellt hat. Ein Umstand, der mir schon lange auf dem Herzen liegt und den ich endlich hier und jetzt in die Welt hinausposaunen muss.

Warum ausgerechnet Briefkastenwerbung? Nun, zwischen all den gigantischen Umweltproblemen unserer Zeit erscheint es wie ein winziger, fast lächerlicher Mosaikstein. Aber genau das ist der Punkt: Es ist so leicht zu ändern! Ein simples Schild, eine winzige Geste – und schon kann jeder ein kleiner Klimaheld sein, und das, ganz ohne ins Schwitzen zu geraten. Und deshalb muss ich einfach darüber schreiben, denn mit minimalem Aufwand kann so viel für die Umwelt getan werden.

Die Papierflut

Da liegt es wieder – das bunte Sammelsurium aus Prospekten, Flyern und kostenlosen Wochenblättern. Wie ein kleiner papierener Tsunami, der sich regelmäßig über den unschuldigen Fußboden vor dem Briefkasten ergießt. Kennt jeder. Hasst jeder. Und trotzdem erdulden wir dieses Ritual Tag für Tag, Woche für Woche, als wäre es ein unvermeidbares Naturgesetz wie Regen oder Montagmorgen.

Dabei liegt die Lösung so nah – buchstäblich zum Greifen nah: Ein simples Schild am Briefkasten mit den magischen Worten:

»Keine Werbung. Keine kostenlosen Zeitungen, Wochenblätter, Handzettel und Wurfsendungen!«

Briefkastenschild - Keine Werbung

Das war’s. Mehr braucht es nicht. Kein Hexenwerk, keine komplizierte Technik, keine monatlichen Gebühren – nur ein kleines Schild mit großer Wirkung.

Zahlenspiele

Bei einem kleinen Selbstversuch kam Erstaunliches zutage: Über ein Kilogramm Papier landete wöchentlich in meinem Briefkasten. Das macht im Monat gut und gerne 4-5 Kilo ungebetene Papiergäste. Hochgerechnet aufs Jahr sind das zwischen 50 und 60 Kilogramm!

Und das ist noch bescheiden gerechnet. Bei anderen Haushalten wurden bis zu 2 Kilogramm pro Woche gemessen. Überschlagsrechnung gefällig? Nein? Kommt trotzdem:

  • Also bei 2 kg und 52 Wochen sind das 104 kg pro Jahr.
  • Bei rund 40 Millionen Haushalten in Deutschland: Über 4 Milliarden Kilogramm.

Ganz genau sind das über 4,16 Millionen Tonnen Papier pro Jahr!

Natürlich bekommen nicht alle Haushalte dieselbe Menge. Manch glücklicher Zeitgenosse schaut vermutlich neidisch auf die prall gefüllten Briefkästen der Nachbarn, während er selbst nur den einen traurigen Energieanbieter-Flyer aus dem Schlitz zieht. Aber selbst wenn wir konservativ rechnen und den Durchschnitt bei 1 kg pro Woche ansetzen, landen jährlich etwa 2 Millionen Tonnen unerwünschtes Papier in deutschen Briefkästen.

Waldsterben deluxe

Laut meiner Recherche werden für eine Tonne Papier etwa 17 Bäume gefällt. Bei unseren konservativ geschätzten zwei Millionen Tonnen Werbepapier pro Jahr in Deutschland entspricht das etwa 34 Millionen Bäumen. Jährlich.

Stellen wir uns das bildlich vor: 34 Millionen Bäume in einer Reihe gepflanzt, mit durchschnittlich fünf Metern Abstand, würden eine Strecke von 170 Millionen Metern ergeben. Das ist mehr als viermal um den Äquator. Abgeholzt, zu Papier verarbeitet, bedruckt, verteilt – und oft ungelesen entsorgt.

Und für was? Damit irgendwo jemand denken kann: »Ach, Joghurt für 89 Cent statt 99 Cent. Tolles Angebot!«

Doch an dieser Stelle möchte ich aufhören. Ich denke, dass klar ist, was ich damit sagen will. Und dennoch höre ich förmlich den empörten Aufschrei durch die Reihen gehen: »Aber wie erfahre ich dann von den tollen Angeboten im Supermarkt?«

Digital statt Papierwald

Willkommen im 21. Jahrhundert! Praktisch jede Handelskette bietet mittlerweile ihre Prospekte digital an. Sei es über die eigene Website, spezielle Apps oder Newsletter, die freiwillig abonniert werden können.

Der entscheidende Unterschied: Diese digitalen Alternativen werden aktiv und bewusst genutzt, wenn tatsächlich Interesse besteht – nicht passiv in jeden Briefkasten geworfen nach dem Motto »Wird schon jemanden interessieren.«

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen:

  • Ich möchte wissen, was es bei meinem Lieblingssupermarkt gibt, also öffne ich die entsprechende App.
  • Ich komme nach Hause und finde ungefragt zwölf verschiedene Prospekte vor, die ich einzeln durchsehen und entsorgen muss.

Im ersten Fall liegt die Kontrolle bei einem selbst. Im zweiten Fall wird die Entscheidung von außen aufgezwungen. Und genau hier setzt das kleine Wunderwerk namens »Keine Werbung«-Schild an.

Schmetterlingseffekt

Stellen wir uns vor, nur ein Viertel aller Haushalte in Deutschland würde so ein Schild anbringen. Bei 40 Millionen Haushalten und durchschnittlich 1 kg Werbung pro Woche pro Haushalt:

10 Millionen Haushalte × 52 kg Papier pro Jahr = 520 Millionen kg = 520.000 Tonnen eingesparte Papiermasse.

  • Entspricht etwa 8,84 Millionen geretteten Bäumen.
  • Spart rund 2,6 Milliarden Liter Wasser (bei ca. 5 Liter Wasser pro kg Papier).
  • Reduziert den CO₂-Ausstoß um etwa 1,56 Millionen Tonnen (bei ca. 3 kg CO₂ pro kg Papier).

Das sind keine Fantasiezahlen, sondern reale Einsparungen, die mit einer winzigen Änderung erreicht werden können. Eine Änderung, die weniger als eine Minute Zeit kostet.

Die große Ausrede

»Ja, aber dann muss ich ja ein Schild machen…«

Genau. Ein Schild. Das dauert etwa so lange wie das Durchblättern eines unerwünschten Prospekts. Mit dem Unterschied, dass es ein einmaliger Aufwand ist, der jahrelang wirkt.

Entweder:

  • Selbst ausdrucken (Vorlage)
  • In jedem Schreibwarenladen oder bei Onlinehändlern für kleines Geld kaufen
  • Mit Edding auf ein Stück Pappe schreiben

Selbst wenn man den materialistischsten, egoistischsten Standpunkt einnimmt und die Umwelt außer Acht lässt: Die Zeit, die beim Sammeln, Sortieren und Entsorgen der Werbung gespart wird, rechtfertigt diesen minimalen Aufwand um ein Vielfaches.

Kopfsache

Die meisten fragen sich womöglich, warum nicht alle Menschen längst dieses simple Schild angebracht haben. Es ist recht banal: Manche glauben, sie verpassen etwas. Die Angst, eine Gelegenheit zu versäumen (nennt man übrigens auch FOMO – Fear Of Missing Out), ist ein reales psychologisches Phänomen. Doch da sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Wie oft hat ein Prospekt das Leben verändert?

Andere sehen vielleicht nicht den unmittelbaren Nutzen für sich selbst. »Was bringt es mir persönlich?« Eine berechtigte Frage. Die Antwort: Neben der gesparten Zeit und der reduzierten Unordnung gibt es ein tief befriedigendes Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben – ohne nennenswerten Aufwand. Nicht jede gute Tat muss heroisch sein oder sofort belohnt werden.

Und dann gibt es noch die dritte Gruppe – die Gruppe der chronischen Aufschieber. Dieselben Menschen, die seit drei Jahren die eine Kiste ausmisten wollen, die sieben ungelesene Bücher auf dem Nachttisch haben und noch immer nicht den tropfenden Wasserhahn repariert haben. Für diese Gruppe habe ich besonders gute Nachrichten: Es dauert wirklich nur eine Minute!

Der Briefkasten-Domino-Day

Das Schöne an solch einfachen Maßnahmen ist ihre Sichtbarkeit. Wenn Nachbarn bemerken, dass der Briefkasten nebenan sauber bleibt, während der eigene überquillt, entstehen Gespräche. »Wie hast du das gemacht?« – »Oh, nur ein kleines Schild.«

Aus einem Schild werden zwei, aus zweien werden vier, und plötzlich hat ein ganzes Mehrfamilienhaus oder eine Straße weniger Papierabfall. Der Verteiler bemerkt dies, bestellt beim nächsten Mal weniger Exemplare, der Druck wird reduziert.

Es ist wie mit diesen winzigen Keimen, aus denen manchmal weltverändernde Bewegungen entstehen – nur dass man hier nicht mal eine Petition unterschreiben oder demonstrieren gehen muss. Einfach ein Schild anbringen und schon ist man Teil einer stillen Revolution.

Es braucht keine großen Kampagnen, keine aggressiven Konfrontationen, keine komplizierten politischen Prozesse – nur viele kleine Entscheidungen, die zusammen Großes bewirken.

Existenzielles

Das »Keine Werbung«-Schild steht symbolisch für etwas Größeres: Die Wiedererlangung der Kontrolle über den eigenen Konsum und die eigene Aufmerksamkeit.

In einer Welt, in der wir ständig mit Informationen, Werbung und Kaufanreizen bombardiert werden, ist es ein kleiner, aber bedeutsamer Akt der Selbstbestimmung zu sagen: »Nein, ich entscheide selbst, welche kommerziellen Botschaften ich in mein Leben lasse.«

Es geht nicht nur um Papier. Es geht um das Prinzip, dass der Briefkasten – wie das eigene Zuhause – ein Ort sein sollte, an dem man bestimmt, was reinkommt und was nicht.

Die Briefkasten-Diät

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich mein erstes Schildchen anbrachte. Es war wie eine Befreiung! Plötzlich musste ich nicht mehr jeden Abend durch einen Dschungel aus Supermarktprospekten und Pizzaflyern waten, um zu meiner tatsächlichen Post zu gelangen. Der Briefkasten, dieser kleine Tempel der Kommunikation, war plötzlich wieder das, was er sein sollte: Ein Ort für persönliche Nachrichten und wichtige Mitteilungen.

Natürlich passierte die Veränderung nicht über Nacht. Der tapfere Pizzabote ignorierte das Schild für weitere zwei Wochen, als hätte er etwas gegen meine Papiersparpolitik. Und der Immobilienmakler des Vertrauens schien zu denken, seine Flyer seien keine Werbung, sondern eine Art Kunstinstallation für unterforderte Briefkästen.

Aber nach einer kleinen Anlaufphase – und zugegeben, einem kleinen Moment der Verzweiflung, in dem ich kurz überlegte, Briefkastenwache zu halten – trat tatsächlich der gewünschte Effekt ein.

Der praktische Abschluss

  1. Schild besorgen (ausdrucken, kaufen, basteln) – Vorlage
  2. Anbringen (Klebeband, Klebestift, Reißzwecken – was auch immer zur Verfügung steht)
  3. Zurücklehnen und zusehen, wie der Papierstrom versiegt
  4. Den freigewordenen Platz im Altpapier für sinnvollere Dinge nutzen
  5. Bei Gelegenheit mit Freunden und Familie darüber sprechen

Und für alle, die noch einen kleinen Motivationsschub brauchen: Es gibt wenige Gelegenheiten im Leben, bei denen eine Minute Aufwand jahrelange positive Auswirkungen hat – sowohl für einen selbst als auch für die Umwelt.

Das kleine Schild am Briefkasten ist so eine Gelegenheit. Eine winzige Handlung mit erstaunlicher Hebelwirkung.

Nachwort mit 😉

Natürlich gibt es einen kleinen Haken an der Sache: Man verpasst tatsächlich all die wunderbaren Angebote für Dinge, die man nie haben wollte. Keine Chance mehr, spontan zu entdecken, dass der Baumarkt drei Straßen weiter gerade Gartenzwerge im Sonderangebot hat. Keine Möglichkeit mehr, sich von den neuesten modischen Verirrungen einer Bekleidungskette überraschen zu lassen, deren Existenz bisher völlig unbekannt war.

Und ja, in besonders schwachen Momenten – vielleicht nach einem langen Tag, wenn der Kühlschrank leer ist und die Motivation zum Kochen gegen Null tendiert – kann die Abwesenheit von Pizzaflyern und deren süßlich lockenden »2 für 1«-Angeboten tatsächlich kurzzeitig bedauert werden.

Aber keine Sorge: Die digitale Welt hält diese Informationen jederzeit bereit, nur eben auf Anfrage und nicht als ungebetener Gast im Briefkasten.

Also: Worauf warten? Die Bäume danken. Der überlastete Briefkasten dankt. Und der eigene Altpapiercontainer? Der wird zwar etwas weniger genutzt, aber seien wir ehrlich – der hat wahrscheinlich ohnehin noch genug zu tun.

Vielleicht ist es ja genau das, was diese stille Revolution so kraftvoll macht: Sie beginnt mit einem Schild, setzt sich fort mit einem bewussteren Umgang mit Ressourcen und endet – wer weiß? – mit einem neuen Verständnis davon, was wirklich wichtig ist im Leben. Und es ist mit Sicherheit nicht der 10-Cent-Rabatt auf Naturjoghurt, jedoch nur in der Variation mit 1,5% Fettgehalt.

© Ron Vollandt | Rons famose Gedankenwelt