Familienerbstücke aus Opas Feder

Heute möchte ich eine wahre Perle aus meinem Familienarchiv teilen: Mein Opa Kurt Tischler, seines Zeichens Autor und Zeitungsschreiber mit einer besonderen Vorliebe für die Heimatgeschichte aus Thüringen und der einen oder anderen süffisanten Anekdote, hatte im Jahr 1958 über die Altweibermühle geschrieben.

Seine Artikel erschienen in einer Zeit, als Zeitungen noch echte Nachrichten druckten und dabei keine reißerischen Überschriften verwendeten, wie »Diese eine Mühle wird Ihr Leben für immer verändern!« oder »Ärzte hassen diesen Trick: Mit 80 wieder aussehen wie 20!«. Aber worum handelt es sich denn nun tatsächlich?

Zeitlose Schönheit

Die Altweibermühle ist ein faszinierendes Motiv, das in Sagen, Märchen und volkstümlichen Darstellungen vorkommt. Sie symbolisiert den Wunsch nach Verjüngung und ewiger Jugend. Während sich heute Menschen mit Botox die Gesichter paralysieren lassen und für ein Facelifting Unsummen hinblättern, hatten unsere Vorfahren eine wesentlich pragmatischere Lösung: eine Mühle, die alte Frauen in junge verwandelt. Das mittelalterliche Pendant zum modernen Schönheitschirurgen – nur ohne elfseitigen Patientenaufklärungsbogen oder einer Behandlungsfehler-Versicherung.

Das Motiv stammt ursprünglich aus einem westpreußischen Fastnachtsspiel von 1440. Bereits damals beschäftigte die Menschheit offenbar die brennende Frage, wie man alternde Ehefrauen wieder marktfähig machen könnte. Manche Probleme sind wirklich zeitlos – nur die Lösungen wurden mit den Jahrhunderten immer teurer.

Funktionsweise einer magischen Renovierung

Die Mechanik der Altweibermühle ist denkbar simpel: Eine alte Frau steigt in die Mühle rein und kommt als junge Frau wieder raus. Ein Geschäftsmodell, das selbst heute noch funktionieren würde. Man stelle sich vor: »Altweibermühle GmbH & Co. KG – Ihr Partner für die Ehe 2.0«. Der Slogan schreibt sich praktisch von selbst: »Frau defekt? Wir machen neu!«

Verschiedene Regionen entwickelten ihre eigenen Varianten. In Bayern wurden als Hexen verkleidete Burschen durch die Mühle gedreht und kamen als junge Mädchen heraus – ein frühes Beispiel für Geschlechtsumwandlung ohne Hormontherapie. In Tirol kutschierte man 1862 eine mobile Altweibermühle durch die Straßen, vermutlich der erste fahrende Schönheitssalon der Geschichte.

Männliche Begeisterung kennt Grenzen

Die schiere Verzückung der Gatten über diese wundersame Einrichtung muss geradezu überwältigend gewesen sein, wobei sich bedauerlicherweise keine zeitgenössischen Quellen finden lassen, die diese vermutlich grenzenlosen Freudenausbrüche dokumentieren. Die Überlieferung offenbart sich als vielschichtig und lädt zu unterschiedlichsten Deutungen ein. Während mancher Ehemann womöglich von der verlockenden Aussicht auf eine wie neu erstandene Gattin fasziniert war, bot die Sage zugleich reichlich Stoff für spöttische Betrachtungen, gesellschaftliche Kritik und sittliche Besinnung.

In den Faschingstraditionen fungiert die Altweibermühle hauptsächlich als Quelle der Belustigung. Bei manchen Faschingsveranstaltungen wurde sie sogar als überdimensionale Holzkonstruktion nachgebaut – mit einem Trichter oben und einer Rutsche unten. Dabei sind »alte« kostümierte Frauen oben hineingehüpft und unten kamen, begleitet von viel Gelächter, »verjüngte« Damen heraus.

Die sogenannte »Verjüngungskur« entpuppt sich als Schauspiel, das mit feinem Humor die menschlichen Eitelkeiten und Sehnsüchte aufs Korn nimmt. Die Überlieferung lässt sich ebenso als spöttische Betrachtung von Geschlechterrollen und partnerschaftlichen Verhältnissen verstehen.

Die männliche Vorfreude auf die grunderneuerte Lebensgefährtin dürfte keine Grenzen gekannt haben. Doch wie so oft bei allzu optimistischen Erwartungen sollte sich herausstellen, dass die Rechnung ohne den Wirt gemacht wurde. Die frisch renovierten Damen entwickelten nämlich ganz eigene Vorstellungen über ihre Zukunft – aber mehr verrate ich erst etwas später im Text, um die Spannung zu erhalten. Nur so viel sei gesagt: Die Sage zeigt sich als scharfsinnige Analyse menschlicher Beziehungen. Wer andere nach seinen Wünschen umgestalten möchte, übersieht gerne, dass Veränderung selten nur in eine Richtung wirkt.

Apoldas magische Vergangenheit

Nun zur speziellen Apoldaer Variante dieser märchenhaften Einrichtung. Als Quelle nannte Kurt Tischler die »Träumereien an französischen Kaminen« von R. Leander, Leipzig 1871. Der Name Leander, so recherchierte mein Opa, ist das Pseudonym von R. Volkmann, Professor und Geheimer Medizinalrat, einer der bekanntesten Chirurgen seiner Zeit. Diese Geschichte erzähle ich nun, gespickt mit kleinen Anmerkungen, nach:

Im Schötener Grund, so berichtet die Überlieferung, stand einst diese wundersame Mühle. Ihr Aussehen glich einer überdimensionalen Kaffeemühle – was durchaus Sinn ergibt, schließlich sollten ja auch Menschen »gemahlen« werden. Zwei große Balken ragten unten heraus, mit denen das ganze Konstrukt in Bewegung gesetzt wurde.

Die Prozedur war denkbar einfach: Oben wurden die alten Weiber hineingesteckt – »faltig, bucklig, zahnlos und kahl«, wie es sich für ordentliche Altweiber gehörte. Unten kamen sie wieder heraus: »jung, rotwangig und voller Lebensfreude«. Während des Mahlvorgangs ertönte aus dem Inneren der Mühle ein lautes Knacken und Prasseln – vermutlich die Geräuschkulisse des Verjüngungsprozesses. Oder einfach nur die alten Knochen, die noch einmal richtig durchgeknetet wurden.

Das Bemerkenswerte: Die Frauen spürten während ihrer Metamorphose nichts. Sie schliefen in »wohltuendem Schlummer«, umfangen von »buntem, blühendem Frühling«. Ein Service, den selbst die teuersten Beautykliniken heute nicht bieten können – da gibt’s nur die Vollnarkose inklusive Träumen vom ewigen Frühling.

Pilgerreisen zur Schönheit

Die Kunde von dieser wundersamen Mühle verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Aus allen Himmelsrichtungen machten sich alternde Frauen auf den beschwerlichen Weg nach Apolda. Die Stadt muss zeitweise einem Wallfahrtsort geglichen haben, nur dass die Pilger nicht das Seelenheil suchten, sondern die Wiederherstellung ihrer körperlichen Attraktivität.

Eines schönen Sommertages – so erzählt es die Überlieferung – kam auch Mutter Klapperroth nach vielen anstrengenden Wegstunden bei der Mühle an. Der Name war übrigens Programm: Mutter Klapperroth klapperte vermutlich bei jedem Schritt mit ihren altersschwachen Gelenken. Vor der Mühle saß ein Mahlknecht auf einer Bank und rauchte gemütlich sein Pfeifchen – der erste dokumentierte Qualitätsmanager der Verjüngungsindustrie.

Kleingedrucktes der Verjüngung

Als Mutter Klapperroth ihren Wunsch vortrug, verschwand der Knecht kurz in der Mühle, schlug ein großes Buch auf und kam mit einem langen Zettel zurück. »Das da müsst ihr schon vorher unterschreiben«, verkündete er mit der Routine eines erfahrenen Bürokraten.

Mutter Klapperroth witterte sofort einen Pakt mit dem Teufel – eine durchaus berechtigte Sorge in Zeiten, als der Teufel noch persönlich Verträge aushandelte und nicht über Anwaltskanzleien agierte. Doch der Mahlknecht beruhigte sie: Es handle sich lediglich um eine Auflistung all ihrer Lebenssünden, die sie nach der Verjüngung erneut begehen müsse – und zwar in exakt derselben Reihenfolge.

Ein geniales System! Die Betreiber der Mühle hatten erkannt, dass eine Verjüngung ohne die entsprechenden Erfahrungen wertlos wäre. Was nützt ein junger Körper, wenn man nicht mehr die Energie und Unvernunft besitzt, richtig Unsinn zu machen?

Qualitätskontrolle mit Humor

Der Mahlknecht studierte Mutter Klapperroths Sündenregister genauer und pfiff durch die Zähne: »Freilich! Ein wenig toll habt Ihr’s schon getrieben. So vom sechzehnten an bis zum sechsundzwanzigsten Jahre ging’s arg her und dann noch einmal so Anfang am Vierziger! Potztausend!«

Man muss sich die Szene vorstellen: Ein bürokratischer Verjüngungsbeamter, der das Sündenkonto einer Frau wie ein Bankberater durchgeht. »Hmm, hier sehe ich eine Phase intensiven Flirtens, dort einen außerehelichen Kuss, und oh! – hier haben Sie tatsächlich ohne Erlaubnis des Ehemanns Geld ausgegeben. Das wird alles fällig!«

Mutter Klapperroth seufzte schwer: »Da lohnt’s sich ja kaum das Ummahlen.« Eine Erkenntnis, die heute jeder Psychotherapeut bestätigen würde: Ohne die eigenen Fehler ist das Leben nur halb so interessant.

Wirtschaftsflaute im Verjüngungssektor

»Freilich, freilich«, bestätigte der Knecht mit der Melancholie eines Verkäufers in der Rezession, »wir haben ja auch in letzter Zeit wenig zu tun. Für die meisten lohnt’s wirklich nicht.« Mutter Klapperroth versuchte noch zu verhandeln: »Kann man da nicht zwei oder drei Sachen streichen?« Ein letzter verzweifelter Versuch, das Kleingedruckte zu umgehen. Doch der Knecht blieb hart: »Nein. Das ist unmöglich.«

Rückzug und Weisheit

»Da nehmt nur Euren Zettel wieder hin, ich hab‘ die Lust an Eurer dummen Altweibermühle verloren.« Mit diesen Worten machte sich Mutter Klapperroth wieder auf den Heimweg. Eine Entscheidung, die von bemerkenswerter Weisheit zeugte – schließlich hatte sie erkannt, dass manche Verbesserungen ihren Preis nicht wert sind.

Als sie zu Hause ankam, wunderten sich die Nachbarn: »Ihr kommt ja gerade so wieder, als Ihr fortgegangen seid!« Mutter Klapperroth antwortete mit der Gelassenheit einer Frau, die eine wichtige Lebenserfahrung gemacht hatte: »Das ist ja eine feine Sache dort mit der Altweibermühle bei Apolda. Aber als ich einsteigen sollte, befiel mich doch eine solch‘ große Angst, dass ich’s dann doch nicht wagte. Schließlich, was liegt an dem bisschen länger leben?«

Gesellschaftskritik im Mühlenformat

Die Altweibermühle spiegelt die damaligen Geschlechterverhältnisse wider wie ein Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt. Während Männer mit zunehmendem Alter als »distinguiert« und »charaktervoll« galten, waren Frauen ab einem gewissen Punkt nur noch »Altweiber« – ein System, das sich bis heute mit erschreckender Hartnäckigkeit hält, auch wenn wir es mittlerweile höflicher formulieren.

Die Mühle war gewissermaßen ein früher Kommentar zur Doppelmoral der Gesellschaft. Männer durften wie ein guter Wein reifen, Frauen sollten ewig wie frische Milch bleiben. Und wenn sie sauer wurden – ab in die Mühle damit! Ein Zynismus, der selbst heutige Marketingabteilungen von Anti-Aging-Konzernen vor Neid erblassen ließe.

Die ultimative Pointe

Doch nun zur wahren Pointe der Geschichte, die in den traditionellen Überlieferungen meist verschwiegen wird: Was geschah eigentlich mit den frisch verjüngten Frauen? Die Männer freuten sich auf ihre renovierten Gattinnen, rechneten mit dankbarer Unterwürfigkeit und erneutem ehelichen Glück.

Die Realität sah anders aus. Denn was passiert, wenn eine Frau plötzlich wieder jung, schön und voller Energie ist? Sie erinnert sich daran, was sie alles verpasst hat! Die frisch gemahlene Ehefrau blickte auf ihren alten, inzwischen noch älter wirkenden Ehemann und dachte: »Moment mal. Ich bin jetzt wieder zwanzig, und der da ist immer noch sechzig. Das kann ja wohl nicht alles gewesen sein!«

Und so kam es, wie es kommen musste: Die verjüngte Dame warf, so spielt es sich szenenartig in meiner Phantasie ab, einen Blick auf den jungen, kräftigen Kutscher, der sie zur Mühle gebracht hatte, packte ihre Sachen und fuhr mit ihm davon. Der arme Ehemann stand da mit seinen Altersgebrechen und musste feststellen, dass er nicht nur sein Geld für die Verjüngung verloren hatte, sondern auch noch seine Frau an einen deutlich jüngeren Konkurrenten.

Moral von der Geschicht‘

Die Altweibermühle erweist sich als zeitlose Parabel über die Tücken menschlicher Wunscherfüllung. Wer glaubt, das Glück ließe sich durch äußere Veränderungen herbeidrehen wie Mehl in einer Mühle, übersieht gerne die unkalkulierbaren Nebenwirkungen seiner Bemühungen.

Die Sage zeigt mit feinem Humor, wie schnell sich die Machtverhältnisse verschieben können, wenn man nicht alle Variablen einer Gleichung bedenkt. Was als simple Reparatur geplant war, entpuppt sich als komplette Systemerneuerung – mit allen Konsequenzen, die eine solche Modernisierung mit sich bringt.

Besonders bemerkenswert ist die Weisheit der Mutter Klapperroth, die nach genauer Prüfung des Kleingedruckten vom Geschäft zurücktritt. Ihre Erkenntnis, dass manche Investitionen mehr kosten als sie einbringen, zeugt von einer Lebenserfahrung, die sich nicht so einfach wegmahlen lässt.

Und so lehrt uns die alte Sage: Die wertvollsten Dinge im Leben kommen meist ohne Gebrauchsanweisung und Garantieschein. Wer das Glück in der Gegenwart übersieht, während er von vergangenen oder zukünftigen Zeiten träumt, könnte am Ende feststellen, dass er die beste Zeit seines Lebens in der Warteschlange vor einer Mühle verbracht hat, die es möglicherweise gar nicht gibt.

Verwendete Quellen:

  • Leander, R. [Pseudonym für R. Volkmann]. (1871). Träumereien an französischen Kaminen. Leipzig.
  • Tischler, K. (15. Februar 1958). Die Altweibermühle. Apoldaer Zeitung, Ausschnitt aus dem Familienarchiv.
  • Westpreußisches Fastnachtsspiel. (1440). Ursprüngliche Überlieferung des Altweibermühlen-Motivs [Historische Quelle].
  • Tiroler Faschingstradition. (1862). Mobile Altweibermühle [Dokumentierte Faschingsveranstaltung].
  • Bayerische Volksüberlieferung. (o.J.). Hexenmühle-Variante der Altweibermühle [Regionale Sagenüberlieferung].

Anmerkung des Verfassers:

Die zeitgenössischen Deutungen, modernen Vergleiche und philosophischen Betrachtungen entstammen der eigenen Reflexion des Autors über die überlieferten Quellen. Sämtliche Spekulationen über die Reaktionen der »renovierten« Ehefrauen und deren mögliche Flucht mit jüngeren Kutschern sind der schriftstellerischen Fantasie geschuldet und nicht historisch belegt – wenngleich durchaus plausibel.

© Ron Vollandt | Rons famose Gedankenwelt